Ein Interview mit Manuela Drewas von Alexander Schilling
Alexander Schilling: Frau Drewas, Sie haben an der Münchenberger Grundschule ein DaZ-Projekt basierend auf der Montessori-Pädagogik durchgeführt. Können Sie uns ein bisschen darüber erzählen?
Manuela Drewas: Ja, gerne! Das Projekt lief über das Förderprogramm „Aufholen nach Corona“. Ich hatte die Möglichkeit, jeden Tag mit drei bis fünf Kindern aus verschiedenen Klassenstufen in einem extra Raum zu arbeiten. Das war eine intensive, praxisorientierte Zeit, die uns viele wertvolle Einblicke gebracht hat.
Alexander Schilling: Was genau haben Sie mit den Kindern gemacht?
Manuela Drewas: Wir haben jeden Tag mit dem Jahreskreis begonnen. Das war sozusagen unser Ankerpunkt. Die Kinder haben ihn immer wieder aufgebaut, was für sie eine klare Struktur und Sicherheit geschaffen hat. Gerade bei Kindern, die Deutsch als Zweitsprache lernen, ist es wichtig, sie in ihrer Lebenswelt abzuholen. Zum Beispiel haben wir bei Erstklässlern oft mit dem beweglichen Alphabet gearbeitet. Da konnten die Kinder ihren Namen legen oder den Monat ihres Geburtstags herausfinden – immer mit einem Bezug zu ihrer Realität.
Alexander Schilling: Das klingt nach einem sehr spielerischen Ansatz.
Manuela Drewas: Absolut! Es ging darum, die Kinder wertfrei und auf mehreren Kanälen anzusprechen. Sie konnten etwas anfassen, fühlen, beschreiben – ohne gleich das „richtige“ Wort wissen zu müssen. Das hat den Druck genommen und ihnen erlaubt, Schritt für Schritt voranzukommen.
Alexander Schilling: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, was den zeitlichen Rahmen angeht?
Manuela Drewas: Ich hatte pro Gruppe nur eine Dreiviertelstunde pro Woche – das ist eigentlich viel zu wenig. Kinder brauchen eine Ankommensphase, um Vertrauen und Sicherheit aufzubauen. Das allein kann schon 30 Minuten dauern. Wenn sie einmal im Flow sind, arbeiten sie hochkonzentriert, aber mit so kurzen Einheiten ist das natürlich oft unterbrochen. Ideal wäre ein Ganztagsformat oder zumindest eine Projektwoche, wo die Kinder intensiver eintauchen können.
Alexander Schilling: Können Sie ein konkretes Beispiel geben, wie die Montessori-Methoden den Kindern geholfen haben?
Manuela Drewas: Ja, da fällt mir ein besonders schönes Projekt ein. Zwei syrische Kinder haben den Jahreskreis genutzt, um die Feste und Feierlichkeiten aus ihrer Heimat einzubringen. Sie haben recherchiert, Texte geschrieben und ein riesiges Plakat gestaltet, das alle Monate mit ihren besonderen Anlässen zeigte. Die Texte haben sie mit Stempeln erstellt – dabei lernten sie ganz nebenbei Rechtschreibung und Grammatik. Es war faszinierend zu sehen, wie stolz sie am Ende waren, ihre Ergebnisse der Klasse zu präsentieren.
Alexander Schilling: Gab es Reaktionen von den Eltern?
Manuela Drewas: Ja, das war sehr berührend. Ein Vater kam in die Schule, weil sein Kind zu Hause so begeistert erzählt hatte. Er wollte das Plakat sehen, und ich habe gemerkt, wie wichtig es den Familien war, dass ihre Kultur und ihre Sprache Raum bekamen. Solche Momente zeigen, wie Montessori-Methoden auch Brücken zwischen Schule und Familie bauen können.
Alexander Schilling: Sie haben ein Beispiel mit syrischen Kindern genannt. Glauben Sie, dass dieser Ansatz universell funktioniert?
Manuela Drewas: Nicht unbedingt. Es hängt sehr davon ab, aus welchem Kulturkreis die Kinder kommen. Bei den ukrainischen Kindern bin ich anders vorgegangen. Gerade wenn es um die Visualisierung ihrer Lebenswelt geht, ist eine hohe Sensibilität gefragt. Manche Kinder haben traumatische Erfahrungen gemacht, und das muss man unbedingt berücksichtigen. In solchen Fällen ist es wichtig, den Kindern die Freiheit zu lassen, selbst zu entscheiden, was sie teilen möchten.
Alexander Schilling: Was würden Sie Schulen empfehlen, die etwas Ähnliches umsetzen möchten?
Manuela Drewas: Ich denke, es ist wichtig, solche Formate langfristig zu planen – sei es als regelmäßige Kurse oder als Projektwochen. Lehrkräfte sollten eine klare Struktur schaffen und die Kinder dort abholen, wo sie stehen. Gleichzeitig brauchen die Lehrkräfte selbst eine gute Grundlage, um sicher mit den Materialien und Methoden arbeiten zu können.
Alexander Schilling: Und wie könnte man diese Grundlage schaffen?
Manuela Drewas: Eine kurze Fortbildung, etwa an einem Wochenende, kann schon erste Impulse geben. Wer tiefer einsteigen will, kann mit einem Montessori-Diplom viele Werkzeuge und eine ganzheitliche Haltung entwickeln. Das eröffnet dann völlig neue Möglichkeiten für den DaZ-Unterricht.
Alexander Schilling: Vielen Dank, Frau Drewas, für diesen inspirierenden Einblick!
Manuela Drewas: Danke Ihnen! Es ist mir eine Freude, über diese Arbeit zu sprechen. Ich hoffe, dass viele Lehrkräfte den Mut finden, solche Projekte umzusetzen – für die Kinder, aber auch für die Gemeinschaft, die davon profitiert.
Weiterführende Informationen:
Lesen Sie hier den allgemeinen Artikel über die Herausforderungen und Chancen von DaZ mit Montessori-Methoden und wie das MONTESSORIheute Institut für Montessori- und Heilpädagogik Lehrkräfte dabei unterstützt.
Hinweis für Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte:
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